
Sie sind sonderbar, diese Tage am Ende eines Schuljahres. An ihnen ist so vieles anders als sonst, sind Gefühle unschärfer, nicht zuordenbar. Beim Heimkommen habe ich nicht das Bedürfnis nach Musik, die mich sonst beinahe immer begleitet, weil ich weiß, dass mich ohnehin kein Lied treffen könnte. Ein Schuljahr ist vergangen. Wieder eines. Wieder ein Jahr voller Erfolgserlebnisse, lustiger Momente, neuer Erkenntnisse, voll von Verstehen, Zuhören, Lesen, Austausch und durch all das wieder und mehr Verstehen. Aber auch ein Jahr voller Zweifel, falscher Anschuldigungen, missbrauchtem Vertrauen und Misserfolgen, von nicht überzeugenden Noten und Unzufriedenheit. Mit Vorwürfen und Dank, mit Freundlichkeit und Streit, offen und hinterrücks. Ein Jahr, in dem Menschen ihre Rollen verändert haben, wichtiger geworden oder auch ganz verschwunden sind. Ein Jahr, das vieles offenlässt, viele Fragen aufwirft und nur wenige beantwortet. Ein Jahr wie jedes Schuljahr zuvor.
Es folgen neun Wochen ohne Unterricht. Sie sollen erholsam sein und der Entspannung dienen, ich weiß nicht, ob das stimmt. Vieles ist zu tun, manches zu denken und einiges wird nach dem Sommer unwiederbringlich anders geworden sein. So sehr eine Pause nötig scheint, so wenig ist sie greifbar. Vielleicht ist das normal, wenn man seinen Beruf gerne ausübt und die Menschen, mit denen man arbeiten darf, mag. Oder es ist ein Zeichen dafür, dass man den Punkt, an dem man sich von der Arbeit noch lösen kann, längst überschritten hat. Ist das bei Kolleg:innen, die sich als fertige Lehrperson betrachten und mit sich vollkommen zufrieden sind, anders? Ich weiß es nicht und wüsste auch nicht, wen ich fragen sollte. Man spricht nur sehr selten und hinter vorgehaltener Hand über so etwas. Im Sommer spricht und schreibt man generell weniger. Mit allen.
„Was machen Sie denn eigentlich im Sommer?“ An den Herbst denken, noch ehe das Schuljahr vorbei ist. In ein kleines Loch fallen und dort ein paar Tage bleiben, um den Beginn der Erholung zu suchen. Gedanken sortieren und nicht nur den Schreibtisch, das Arbeitszimmer, den Tisch im Konferenzzimmer und das Klassenbibliothek, sondern auch meinen Kopf aufräumen. Brauch ich das noch? Oder kann das weg? Es ist erstaunlich, wie oft man sich diese Frage stellen könnte und wie sinnlos sie gleichzeitig ist. Am Ende trifft man diese Entscheidung sowieso nicht selbst und viele Gedanken, die sowieso nur Sorgen bereiten, bleiben erst recht zurück. Und so manche Überlegungen und Ideen, von denen zukünftige Entwicklungen abhängen, liegen außerhalb des eigenen Einflusses, aber gerade so günstig, dass sie weitere Zweifel verbreiten können, je konkreter sie werden. An den Herbst denken… Ein Herbst, der noch neun Wochen auf sich warten lässt und quasi schon den Zeigefinger zum Anklopfen angewinkelt hat. Hoffnungen, Ängste, Unsicherheit, Bekanntes – er wird alles in seinen riesigen Taschen haben. Fraglich ist vorerst nur, was er auspacken wird und für mich vorgesehen hat.
Es sind sonderbare Tage, die letzten des Schuljahres. Sie bremsen einen von Voll auf Null in extrem kurzer Zeit. Gerade noch ist man umgeben von hunderten Menschen, es ist laut und man hat viel zu viele Aufgaben zu erledigen, die einen Rahmen bilden. Und plötzlich ist alles auf Pause, keine Klingel schlägt den Fünfzigertakt, der Wecker bleibt aus und wird ersetzt vom Gewissen, das einen fragt, ob man wirklich noch liegenbleiben will, obwohl es schon hell ist. Die Menschen, die für den Lärm gesorgt haben, sind in alle Winde zerstreut, die meisten von ihnen bringt der Herbst wieder mit sich und zusammen. Irgendwann kommt auch die Musik wieder und verzeiht mir, dass ich sie wegschließen musste, weil ich sie nicht mehr verstanden hatte. Doch bis dahin wird es noch dauern, das Loch verträgt sich nicht mit ihr.